Depression und Selbstzweifel: Lernen, das Selbstwertgefühl wieder aufzubauen

In Momenten der Dunkelheit ist es schwer zu erkennen, dass unsere Selbstzweifel nicht die Wahrheit über unsere Wertigkeit spiegeln. Der Schmerz allerdings, den diese Gedanken aussprechen, ist real und kann überwältigend sein. 

Die erlebten Selbstzweifel können wie ein ständiger Begleiter erscheinen, aber sie müssen nicht schicksalshaft werden. Um dies einmal zu verstehen, ist es hilfreich, ein wenig darüber zu wissen, wie wir selbst unser Erleben erzeugen.

Wie nehmen wir die Realität „wahr“?

Wenn etwas geschieht, wir etwas wahrnehmen, dann sind unser Körper, unsere Gefühle und unser Denken beteiligt. Manchmal nehmen wir auch Dinge völlig unbewusst oder nur halbbewusst wahr und können uns dennoch zu einem späteren Zeitpunkt daran erinnern. 

Wir nehmen unsere Umwelt und Innenwelt über unsere Sinne (Impulse oder Wellen) auf und verarbeiten diese dann weiter. Besondere Sinne sind dabei das Sehen, Hören, Körperkoordination, Riechen, Schmecken, Gleichgewicht und Tastsinn. Unsere Augen nehmen mit ca. 13% unserer Sehnerven (Netzhaut) das optische Bild von außen auf. Alle weiteren Sehnerven (und noch weitere) bilden Rückkoppelungsschleifen in uns und erzeugen aus all den verschiedenen Informationen wieder ein eigenes inneres Bild, unsere „Wirk“-lichkeit. Dieser Schritt erfolgt völlig unabhängig von äußeren Einflüssen. Wir machen uns somit keine Bilder von der Außenwelt, sondern erzeugen diese aus Impulsen von außen, die wir in uns aufgenommen haben und verarbeiten. Dann weisen wir diesen inneren Bildern eine Bedeutung (wichtig, unwichtig, angenehm, gefährlich, schön usw.) zu und gleichen diese mit bereits gemachten Erfahrungen ab. Die Bedeutungsgebung legt fest, wie wir etwas einschätzen bzw. bewerten. Sie bildet gleichzeitig die Grundlage für all unsere dararuf aufbauenden Reaktionen und Handlungen.

Somit wird auch klar, nicht die Inhalte sind entscheidend, sondern die Bedeutung, welche wir unseren Bildern bzw. Wahrnehmungen für unser Erleben geben. Und wir konstruieren unser Erleben von innen heraus, unabhängig von äußeren Einflüssen. 

Die Art, wie wir unser Erleben erzeugen, spielt für das Verstehen und den Umgang mit bzw. der Veränderung von emotionalen Prozessen eine wichtige Rolle. So entwickeln wir ein bestimmtes inneres Erleben, wenn wir uns Nachrichten ansehen. Sehen wir uns allerdings einen wunderschönen Liebesfilm an, entwickeln wir ein völlig anderes Erleben. Dies bedeutet, dass der Bereich, das Thema oder der Ort, wohin wir unsere Aufmerksamkeit fokussieren, eine entscheidende Rolle spielt.

Wenn wir wissen, dass wir unser Erleben eigenständig erzeugen, sowie die Fokussierung unserer Aufmerksamkeit eine zentrale Rolle für unser Erleben spielt, haben wir wichtige Schlüssel für mögliche Veränderungen gefunden.

Wie können wir unsere Aufmerksamkeit dorthin lenken, wohin wir sie haben wollen?

So gibt es eine Ebene in uns, die entscheidet, kontrolliert, denkt, plant, erinnert. Es handelt sich hier um einen bewusst-willentlichen Teil, der in unserem Gehirn über die äußere Schicht, der Großhirnrinde gesteuert wird. Mit ihr können wir auch rechnen, im Einkaufsladen eine Entscheidung treffen, etwas im Restaurant bestellen usw. Dieser Bereich dient auch als Speicher für alle gut verarbeiteten Erinnerungen und Wahrnehmungen.

Zum anderen haben wir auch unseren Körper und unsere Gefühle, wie z.B. unsere Angst, unseren Schmerz, unser Körpergefühl, unsere Unvernunft und Spontaneität, mit der wir reagieren, wenn wir vor Trauer zusammensinken, vor Wut etwas zerschlagen könnten oder vor Freude hüpfen. Diese Funktionen werden von Teilen unseres Gehirns gesteuert, die viel älter sind als unsere Großhirnrinde (unser kognitives Denken). Sie entsprechen dem Säugetiergehirn (Zwischenhirn, limbisches System). Es ist bis heute für unser Überleben äußerst wichtig und ist im Vergleich zum Großhirn auch schneller und stärker – immer. Treffen wir Entscheidungen, können wir uns unser bewusst willentliches Denken wie einen Berater vorstellen, der zwar Einfluss nimmt, aber die Entscheidung wird letztendlich woanders getroffen, nämlich im Säugetiergehirn, unwillkürlich. 

Dieses System in uns, das limbische System (oder auch Zwischenhirn), erzeugt Affekte, die die Grundlage für unsere Gefühle wie Wut, Lust, Freude, Angst, Trauer usw. bilden. Unser selbst erzeugtes „Er-leben“ steht mit mindestens zwei Ebenen in Verbindung. 

Im günstigen Fall kooperieren diese Ebenen miteinander. Im ungünstigen Falle tun sie das nicht oder ungenügend, wie z.B. bei Depressionen, Ängste oder Selbstzweifeln. Gerade, wenn wir im Stress sind, depressiv oder ängstlich und darunter leiden, oder Probleme mit unserem Selbstwert haben, arbeiten diese Ebenen in uns nicht mit-, sondern gegeneinander und verbrauchen dabei einen Großteil unserer Energie und Aufmerksamkeit.

Wie kann ich mir das vorstellen, wenn es nicht rund läuft?

Z.B. wollen wir mit unserer schlechten Stimmung endlich aufhören, uns wieder gut fühlen, weil wir ja eigentlich genau wissen, dass es auch anders gehen kann. Aber „es“ gelingt nicht. „Stell dich nicht so an!“ – sagen wir zu uns selbst und werten uns ab, bekämpfen uns. Am besten hätten wir diese Hemmung einfach weg. Dies allerdings misslingt und „es“ geht immer noch nicht, raubt uns weiter Energie, hält die Füße fest und die Emotionen gefangen. Dies führt dann dazu, dass wir uns noch hilfloser fühlen als vorher, weil „es“ nicht geht. Wir fangen an uns als Opfer zu erleben. Diese innere Dynamik in der Beziehung zu uns selbst mit entsprechender Selbstabwertung, inneren Vorwürfen wird mit wieder erhöhtem Druck beantwortet und verstärkt unser Problemerleben. Wir stecken fest. 

Auch wenn wir diese Symptome über längere Zeit erleiden, bedeutet dies noch lange nicht, dass uns Kompetenzmuster für eine hilfreiche Lösung fehlen. Es drückt nur aus, dass sie derzeit als Potenzial schlummern und uns (aktuell) nicht zur Verfügung stehen.

Wie können wir Schritt für Schritt lernen darauf Einfluss zu nehmen?

Da unser Zwischenhirn, welches für unsere Gefühle verantwortlich ist, nicht die alltägliche Sprachsprache unseres Großhirns versteht, müssen wir darauf mit anderen Elementen im Zusammenhang Einfluss nehmen. Dies sind z.B. Körperkoordination, Geräusche, Klänge, Gerüche, Metaphern, Narrative, bildhafte Sprache, innere Landkarten usw. Über diesen Einsatz können wir lernen unsere Aufmerksamkeit umzufokussieren, um unseren bewussten Willen und unser unwillkürliches Empfinden wieder in eine kooperative und passende Verbindung zu bringen. Das klingt einfach, ist aber nicht immer leicht. Insofern kann es für den einen oder anderen nützlich sein, sich hierbei bei Bedarf mit etwas Unterstützung auf den Weg zu machen.