„Neulich bin ich beim Joggen fast zusammengebrochen.“

Frau Flink (Name geändert), 51 Jahre alt, stellte sich bei mir vor:
Ein Kontrollbesuch beim Arzt ergab bei Frau F. keinen organischen Befund. Seitdem geht sie zwar weiter laufen, stellt allerdings fest, dass sie immer wieder leichte Schwächeanfälle hat, ohne zu wissen, woher sie kommen. Ihre Sorgen nehmen zu und ihre Ängste werden größer, ihren Alltag und ihre sportlichen Leistungen in naher Zukunft nicht mehr zu schaffen. Sie bekommt Angst, dass sich ihre Leistung im Beruf ebenfalls verschlechtern könnte.

Hintergrund

Nicht immer sind körperliche oder organische Hintergründe für Schwächeanfälle oder andauernde Schwächegefühle verantwortlich. Gerade wenn Belastungen durch Stress oder körperliche Anstrengungen aufkommen, wir also Grenzen spüren.

Körper und Psyche

Mit dem Wissen, dass Körper und Psyche untrennbar miteinander verbunden sind, sollten wir uns auch bewusst sein, dass sich psychische Belastungen durchaus körperlich (somatoform) bemerkbar machen können.

Sofern wir nichts dagegen unternehmen, alles lassen, wie es ist, kann sich ein Kreislauf von Anstrengung, Schwäche und weiterergehenden Anstrengungen mit immer stärker werdenden Schwächesymptomen usw. leicht verselbstständigen. Die Leistungsfähigkeit im Alltag nimmt kontinuierlich ab oder bleibt auf einem zu niedrigen Niveau. Und wir können es uns nicht wirklich erklären.

Meine Sicht der Dinge

Meiner Ansicht nach ist es hier ratsam, sehr aufmerksam ggü. Veränderungen der eigenen Zustände bzw. Befindlichkeiten zu sein. Denn Befinden und ärztlicher Befund müssen bei weitem nicht immer deckungsgleich sein. Leistungsschwächen können viele Gesichter haben, wie z.B. in der Leistung im Beruf, der Konzentrationsfähigkeit, schwächelndem Erinnerungsvermögen, Lernproblemen, Urteilsfähigkeit, Schlafstörungen, einer reduzierten Bereitschaft für soziale Kontakte oder Unternehmungen, einer erhöhten Neigung zu Aggressivität oder Immobilität uvm.

Belastende Erlebnisse oder Erfahrungen

Sofern eine vorausgehende und gründliche medizinische Untersuchung keinen klaren Befund ergab, kann es durchaus sein, dass in der Vergangenheit liegende belastende Erfahrungen (z.B. Traumata), die uns nicht bewusst sind, eine Rolle spielen.

Psychische Traumata können auf körperliche und psychische Weise auf sich aufmerksam machen. Bestimmte Erlebnisse konnten dann noch nicht oder nicht vollständig verarbeitet werden. Unser Körper und unsere Psyche haben dann noch nicht gelernt, mit solchen Erlebnissen als eine unangenehme oder traurige Erinnerung umzugehen. Sie beeinflussen unseren Alltag stark, obwohl das Erlebnis oder die Erfahrungen tatsächlich in der Vergangenheit liegen. Gerade dann, wenn sie verdrängt wurden oder nie richtig bewusst geworden sind. Sie sind sozusagen wie ein eigener Anteil von uns abgespalten (dissoziiert).

Weshalb ich meine, dass auch dieses Verhalten immer zu würdigen ist

Vom Grundsatz her versuchen unser Körper und unsere Psyche mit jedem noch so dramatischen Erlebnis so gut wie möglich klarzukommen. Insofern ist jede Strategie erst einmal zu würdigen, was meiner Ansicht nach viel zu selten oder auch nicht intensiv genug stattfindet. Dies gelingt aus meiner Sicht gerade in der Therapie dann, wenn wir in unserer Arbeit unser Herz beim Klienten haben und dies bei ihr oder ihm auch ankommt.

Weiter im Fall

In dem hier beschriebenen Fall möchte Frau Flink etwas an ihrer Situation der Schwäche ändern. Doch an ihrem Körper scheinen sich keine Verbesserungen einzustellen, was ihre Zuversicht weiter schwinden lässt. Ihre Ängste nehmen zu. Da körperlich keine Befunde vorliegen, wird ihr klar, dass psychische Belastungen hinter der körperlichen Schwäche liegen könnten. Sie entschließt sich für eine Therapie, weiß allerdings, ohne eine vertrauensvolle Beziehung und Wertschätzung, wird es für sie nicht gehen.

Die ersten Schritte

Sie wusste, bei der Auswahl ihres Therapeuten muss sie sich auf ihr Bauchgefühl verlassen können und ging in einen Erstkontakt mit der Einstellung, sich noch nicht für irgend etwas entschieden zu haben. Nach einem gelungenen Vertrauensaufbau stellte sich in den nachfolgenden Sitzungen heraus, dass ältere, nicht verarbeitete Konflikte mit ihrer Tochter, die sich nun seit einigen Jahren hinziehen, ihr immer mehr die Kraft und Sinnhaftigkeit für ihr Leben geraubt haben. Zumal sie sehr gerne einen engeren Kontakt zu ihren Enkelkindern pflegen würde.

Was meiner Ansicht nach eine wesentliche Rolle spielt

Auch wenn Vergangenes einen Einfluss hat, liegt der Hauptfokus nicht in der Vergangenheit, sondern in der nach vorne gerichteten Zukunft. Vergangenes nimmt Einfluss auf die Bewertung und Gestaltung dessen, was ansteht. Vergangenes und Zukünftiges werden dadurch berücksichtigt, dass in diesem Fall der Klientin durch das Bewusstwerden dieser Seiten in der Therapie, ein sehr würdevolles und wertschätzendes hin und her gehen zwischen Problem und Lösung ermöglicht wird. Dies geschieht so lange, bis die vergangene Erfahrung als eine ressourcenhafte Erinnerung zur Verfügung steht und in der Vergangenheit chronologisch eingeordnet werden kann.

Weiter im Fall

Im vorliegenden Fall konnte Frau Flink ihre Beziehung zu ihrer Tochter weiter aufarbeiten. Sie konnte lernen zu akzeptieren, dass die Entscheidung, dass ihre Tochter ihre Aufmerksamkeit ausschließlich ihren Kindern und nicht dem Beruf widmen möchte, zu deren Lebensgestaltung gehört. Auch wenn für sie als Mutter eine berufliche Eigenständigkeit in Verbindung mit Familie passender für die heutige Zeit erscheint. Sie entdeckte dabei weiter, dass in Ihrer Vergangenheit ihre eigenen Selbstversuche dieser Art sie in existenzielle Nöte gebracht hatte. Und diese Ängste wie von selbst wieder hervorgekommen (getriggert) sind.

Nach einiger Zeit stellte sich bei Frau Flink deutliche Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit ein. Sie lernte sich besser abzugrenzen, wie auch ihrem Körper mehr Achtsamkeit zu schenken.